Neurourologie
Die Harnblase als Muskel ist von einer regulären Steuerung der versorgenden Nerven abhängig. Ein Reflex sorgt bei entsprechender Füllung der Harnblase für eine automatische Meldung an das Steuerzentrum im Kreuzbein-Nervengeflecht, wo dieser direkt auf muskuläre Neurone umgeschaltet und die Blasenentleerung durch ein Zusammenziehen des Blasenmuskels eingeleitet wird. Im Kleinkindalter gewinnt das übergeordnete Steuerzentrum im Gehirn zunehmend die Kontrolle über die reflexgesteuerte Blasenentleerung, sodass wir in der Lage sind, das Zusammenziehen und somit Entleeren der Blase hinauszuzögern.
Blasenentleerung | Normwert
Normwerte bei einer Trinkzufuhr von 2-3l/ Tag:
Blasenvolumen 350-500ml, 5-8 Toilettengänge am Tag; 0-1 Toilettengänge nachts; Harndrang rechtzeitig (Hälfte des maximalen Blasenvolumens)
Welche neurourologischen Störungen können auftreten?
Bestehen Störungen im Gehirn, Rückenmark oder auf Nervenebene kann die Kontrolle über die Harnblase verloren gehen. Der Defekt kann sich ganz unterschiedlich auswirken. Mögliche Störungen sind die Dranginkontinenz (Urinverlust im Harndrang oder diesem unmittelbar folgend), Stressinkontinenz (Urinverlust beim Husten, Laufen, Hüpfen etc.), die Restharnbildung/Harnverhaltung (fehlende oder unzureichende Kontraktion des Blasenmuskels) und die Entwicklung einer Hochdruckblase (Druckbelastung der Harnblase durch Zusammenziehen der Muskulatur ohne Urinabgang). Potenz/Gefühlsstörungen und Stuhlentleerungsstörungen treten ebenfalls auf.
Restharnbildung/Harnverhaltung
Eine Restharnbildung kann sowohl durch einen ausbleibenden Nervenimpuls zum Start und Aufrechterhalten der Blasenentleerung, einer Fehlkoordination von Blasen- und Schließmuskel oder einem geschädigten Blasenmuskel verursacht werden. Nicht neurogener Genese und immer auszuschließen ist die Verengung der Harnröhre durch eine vergrößerte Prostata oder Striktur.
Das Ausmaß des Restharns kann hierbei ganz unterschiedlich sein. Nicht selten besteht eine unbemerkte schlaffe Riesenblase (Megazystis) mit teilweise mehreren Litern Fassungsvermögen und Restharn. Hier liegt immer auch ein muskulärer, schwer behebbarer Schaden vor. Patientinnen und Patienten verspüren oft keinen Harndrang und entleeren die Blase nur über die Bauchpresse. Auch wesentlich niedrigere Restharnwerte unter 100 ml können bereits zu Symptomen wie rezidivierenden Blasenentzündungen oder gehäuftem Harndrang führen.
Hochdruckblase
(organisch fixierte Low Compliance-Bladder, Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie)
Die schwerste Form der fehlenden Absprache von Harnblasen- und Schließmuskel stellt die Hochdruckblase dar. Hierbei presst der Blasenmuskel gegen den gleichzeitig kontrahierten Schließmuskel, sodass eine ausgeprägte Druckbelastung mit möglicher Schädigung des gesamten Harntraktes führt. Der Blasenmuskel verdickt und wird narbig umgebaut, der Urinabfluss kann wesentlich gestört und die Nierenfunktion so beeinträchtigt werden.
Diagnose/Untersuchungen
An erster Stelle stehen die körperliche Untersuchung mit Reflexstatus, die Urinuntersuchung sowie der Ultraschall von Blase (mit Restharnbestimmung) und Niere. Eine weitere einfache Untersuchung ist die Harnflussmessung zur Beurteilung der Harnblasenkoordination.
Zentraler Bestandteil der Diagnostik in der Neurourologie ist die Blasendruckmessung (Urodynamik). Mit dieser kann über einen eingelegten, dünnen Mess-Katheter in der Harnblase der Druck und somit Zustand des Blasenmuskels bei der Blasenfüllung beurteilt werden. Während der Entleerung kann das Zusammenspiel von Blasenmuskel und Schließmuskel ausgewertet werden.
Eine Blasenspiegelung kann die Veränderung der Muskulatur in der Blase nachweisen und andere Pathologien der Blasenschleimhaut ausschließen.
Therapien in der Neurourologie
Je nach zugrunde liegender Störung bestehen prinzipiell zwei unterschiedliche Therapieansätze, die teilweise auch kombiniert werden:
- Entleerung verbessern/optimieren
- Blase entspannen/beruhigen/blockieren
Verbesserte Entleerung
Eine entspannte Miktion, sich Zeit lassen, nach wenigen Minuten Pause nochmals auf Toilette gehen (2-zeitige Miktion) sind einfache Maßnahmen zur Verbesserung einer leichten Restharnbildung. Die Einnahme von Alpha-Rezeptor-Blockern (Tamsulosin, Silodosin, Alfuzosin) helfen nur bei nachgewiesener Verkrampfung des Blasenhalses/der prostatischen Harnröhre. Besteht eine anatomische Enge kann beim Mann eine Resektion oder Schlitzung dieser hilfreich sein.
Größere Restharnmengen ab 100 ml, insbesondere verbunden mit häufigen Infektionen, sollten regelmäßig entleert werden. Hierbei hat sich die intermittierende saubere Selbst-Katheterisierung als vorteilhaft erwiesen. Hierbei wird alle vier bis fünf Stunden ein speziell für diese Eigen-Anwendung konzipierter Einmalkatheter in die Harnröhre eingeführt und die Harnblase so restharnfrei entleert. Natürlich werden Patienten hierbei umfassend angeleitet und unterstützt. Auch möglich, aber mit einer schlechteren Lebensqualität verbunden ist die Einlage eines Bauchdeckenkatheters.
Sofern kein ausgeprägter muskulärer Blasenschaden vorliegt kann eine sakrale Neuromodulation versucht werden.
Entspannung/Blockade des Blasenmuskels
Konservative Behandlung
Ein Miktionstraining kann Beschwerden lindern. Die Blase soll in ihrer natürlichen Funktion unterstützt und die Blasenkapazität erhöht werden. Eine stabile Körperhaltung und richtige Atemtechniken sind weitere Ansatzpunkte der Urotherapie, welche einen wichtigen Part in der konservativen Behandlung darstellt.
Medikamentöse Behandlung
Medikamente können den Blasenmuskel beruhigen. So werden Antimuskarinergika eingesetzt (Oxybutinin, Darifenacin, Trospiumchlorid, Fesoterodin, Solifenacin u.a.) und bis auf eine Mundtrockenheit meist gut toleriert.
Die Injektion von Botulinumtoxin führt zu einer teilweisen und reversiblen Lähmung des Blasenmuskels. Der Harndrang und Urinverlust wird so deutlich reduziert. Das Medikament wird im Rahmen einer Blasenspiegelung an 10-20 Stellen in den Harnblasenmuskel gespritzt. Eine seltene und nur vorübergehende Nebenwirkung kann die Restharnbildung bis hin zur Harnverhaltung und somit notwendigen Katheterisierung sein. Auch muss der Eingriff alle ½ - 1 Jahr wiederholt werden.
Blasenschrittmacher
Bei dieser, auch unter den Begriffen Blasenschrittmacher, Beckenbodenschrittmacher oder Interstim bekannten Therapie verbirgt sich ein neues Therapieverfahren. Ein kleiner implantierter Neurostimulator (Blasenschrittmacher) gibt schwache elektrische Impulse an die sakralen Spinalnerven ab, um die Symptome zu lindern. Auf diese Art und Weise können folgende Beschwerdebilder therapiert werden:
Beckenschmerzsyndrom, Interstitielle Zystitis
- Schlaffe Blase / Restharnbildung / Notwendigkeit zur Katheterisierung
- Stuhldranginkontinenz und Verstopfung
Zunächst erfolgt die minimalinvasive Einlage von Probeelektroden oder bereits permanenten Verankerungselektroden im Bereich des Sitzbeines. Im Anschluss erfolgt eine Testung über einen außen liegenden, kleinen portablen Schrittmacher.
In 70-80% der Patientinnen und Patienten kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der Beschwerden, häufig besteht eine Heilung. Dann kann die Implantation eines Schrittmachers unter die Haut des Gesäßes erfolgen. Alle Eingriffe sind kurz und mit einem sehr geringen Komplikationsrisiko verbunden. Der Schrittmacher leistet im Anschluss kontinuierlich seine Arbeit. Jährliche Kontrollen reichen hiernach und die Batterie muss nur alle ca. fünf bis acht Jahre ausgetauscht werden.
Blasenaugmentation
Besteht eine Hochdruckblase oder sollte die Blase durch eine langjährige Überaktivität geschrumpft sein und die beschriebenen Therapien keine Linderung verschaffen kann eine Blasenaugmentation notwendig werden. Hierbei wird der Blasenmuskel entfernt und durch Darmanteile ersetzt.
Ihr Kontakt zu uns
Kontinenz-/Beckenbodenzentrum | Neurourologie
Leiter: Dr. med. Fabian Queißert
Stellv. Leiter: Dr. med. Benedict Brücher
Sekretariat Kontinenz-/Beckenbodenzentrum
Mo, Mi & Do: +49 251 83-48344
+49 251 83-44697
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neurourologie@ukmuenster.de
Case Management OP-Planung
Ihre Ansprechpersonen für den Bereich Neurourologie
![UKM Urologie | Fabian Queißert](/fileadmin/_processed_/a/a/csm_ukm-urologie-fabian-queissert-300x400px_10a12c4d80.png)
Dr. med. Fabian Queißert
Oberarzt
Leiter Kontinenz- und Beckenbodenzentrum und des Bereiches Neurourologie
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Dr. med. Benedict Brücher
Oberarzt
Facharzt für Urologie
Stellvertretender Leiter Kontinenz- und Beckenbodenzentrum
Klinik für Urologie und Kinderurologie
Albert-Schweitzer-Campus 1
Gebäude A1
48149 Münster