Hoffnung für Paare mit hohem genetischen Risiko: Kinderwunsch dank Präimplantationsdiagnostik erfüllt
Der Weg zum ersehnten Wunschkind kann für viele Paare lang und beschwerlich sein. Die Belastung wird noch größer, wenn sie Fehlgeburten erleben müssen. Doch falls dafür eine genetische Ursache festgestellt wird, gibt es Hoffnung: Dank der Präimplantationsdiagnostik (PID) haben betroffene Paare die Chance auf ein gesundes Kind. Familie A. aus dem Kreis Steinfurt hat sich als erste am UKM für diesen Weg entschieden. | lwi

Ungewollt kinderlos zu sein, ist für viele Paare sehr belastend. Wie sehr, und welchen persönlichen Umgang sie damit finden, ist höchst individuell. Bei Familie A. (Name ist der Redaktion bekannt und wurde geändert) waren es zwei Fehlgeburten, die sie schließlich ins Kinderwunschzentrum des UKM (Universitätsklinikum Münster) führten. Gibt es eine Ursache? Können wir etwas tun? Diese Fragen beschäftigten die Familie aus dem Kreis Steinfurt, als sie Anfang 2023 nach Münster kam. „Wir haben Rat gesucht und sind in die Diagnostik eingestiegen“, erläutert Antonia A. (Name geändert). „Dafür wurden zunächst alle gängigen Ursachen untersucht und ausgeschlossen, bis auf die Genetik. Dort gab es dann eine Erklärung.“ In der Klinik für Medizinische Genetik wurde bei Antonia A. eine balancierte Chromosomentranslokation festgestellt. „In diesem Fall waren Chromosom 13 und 14 miteinander verschmolzen“, erläutert Dr. Andreas Busche, Oberarzt an der Klinik für Medizinische Genetik und Facharzt für Humangenetik. „Diese Translokation kann vererbt werden, zu einer unbalancierten Translokation beim Kind führen und damit zu einem hohen Risiko für Fehlgeburten oder einer geringen Lebenserwartung von nur wenigen Tagen.“
„Bei vielen Frauen und Familien findet sich gar keine Diagnose für die Unfruchtbarkeit oder Fehlgeburten“, weiß Tanja Sperlbaum, Oberärztin im Kinderwunschzentrum am UKM. „Glücklicherweise gab es hier einen eindeutigen genetischen Hinweis, der die wahrscheinlichste Ursache ist.“
Die Erkenntnisse aus der Genetik ebneten den Weg für einen Ansatz, der – in engen ethischen und rechtlichen Grenzen – betroffenen Paaren mit Kinderwunsch Hoffnung und Hilfe anbietet: die Präimplantationsdiagnostik (PID).
„Wie bei anderen assistierten Befruchtungen wird auch hier den Eizellen zunächst in vitro, also außerhalb des Körpers, jeweils ein Spermium injiziert“, erläutert Privatdozentin Dr. Verena Nordhoff vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA). Bei Familie A. haben sich vier der sechs Eizellen nach der Befruchtung entwickelt. „Von diesen vier haben wir extraembryonale Zellen – diese werden später zur Plazenta – entnommen, die embryonalen Zellen bleiben unangetastet. Werden diese extraembryonalen Zellen analysiert, kann man auf die genetische Ausstattung des eigentlichen Embryos rückschließen“, erklärt Nordhoff weiter. Tiefgefroren wurden diese Zellen in das Labor des UKM-Kooperationspartners in München geschickt, wo die erweiterte Diagnostik erfolgt. „Dort wird dann untersucht, ob bei dem Kind ein unausgeglichenes Erbgut vorliegt, womit schwerwiegende Fehlbildungen oder eine Fehlgeburt erwartbar wären, oder ob das Erbgut ausgeglichen vorliegt und das Kind sich wahrscheinlich gesund entwickelt“, sagt Busche.
Grundsätzlich ist die Diagnostik in Deutschland nur zulässig, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für Fehlgeburten oder eine schwerwiegende Erkrankung beim Kind besteht. Zudem muss die Familie immer in einem Schreiben an eine unabhängige Ethikkommission begründen, warum sie das Verfahren nutzen möchte. Die Ethikkommission entscheidet dann in jedem Fall individuell, ob eine PID durchgeführt werden darf. Ob eine Familie diesen Weg wählt, auf dem sie in der Regel auch finanziell den Großteil der Kosten von mehreren Tausend Euro selbst trägt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.
Nach einem Zyklus Pause wurde Antonia A. einer der beiden Embryonen ohne den Gendefekt eingesetzt.
„Als wir dann einige Zeit später den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielten, haben wir Tränen vergossen“, erinnern sich die Eltern, die auf eine normale Schwangerschaft zurückblicken.
Mitte Dezember des vergangenen Jahres kam ihr Sohn zur Welt und entwickelt sich seitdem unauffällig. „Die große Empathie während der gesamten Begleitung hat uns sehr beeindruckt“, sagen die Eltern, die anderen mit ihrer Geschichte Mut machen wollen. „Auch spätabends oder frühmorgens Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, kein Fall, keine Nummer zu sein – das alles hat uns sehr geholfen.“
Das freut auch alle Verantwortlichen aus CeRA, Kinderwunschzentrum und Medizinischer Genetik, die am UKM im Rahmen der PID interdisziplinär zusammenarbeiten und inzwischen monatlich vier bis fünf Konstellationen diskutieren, in denen dieses Verfahren eine Option sein könnte. Der Ausgang hängt dann von vielen verschiedenen Faktoren ab, medizinischen wie ethischen, und bleibt am Ende – wenn die PID Erfolg versprechen sollte – immer eine individuelle Entscheidung des jeweiligen Paares.
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