Kranken Kinderherzen verschrieben – Prof. Hans Gerd Kehl geht in den Ruhestand
Über 33 Jahre war er am UKM, zwei Mal kommissarisch, und seit 2019 fest als Direktor der Klinik für Pädiatrische Kardiologie tätig – zu Ende September gibt Prof. Hans Gerd Kehl (66) die Klinikleitung ab. Im Rückblick auf seine Zeit in Münster stellt er fest, dass neben der Evolution kinderkardiologischer Methoden auch die intensive, patientenorientierte Zusammenarbeit der beteiligten Fachgebiete zu einer erfolgreicheren Versorgung von Kindern mit Herzfehlern geführt hat – und damit auch zu mehr gesunden Überlebenden. | lwi
Rund ein Prozent aller Neugeborenen in Deutschland haben einen angeborenen Herzfehler. Für Prof. Hans Gerd Kehl ist diese Tatsache wohl mehr als eine Zahl. Über drei Jahrzehnte lang hat er am UKM (Universitätsklinikum Münster) tausende herzkranke Kinder behandelt. Am UKM angefangen hat Kehl 1991 als Kinderarzt; 2019 wurde er Direktor der „Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Kardiologie“, in der er zuvor bereits zwei Mal Verantwortung als kommissarischer Leiter übernommen hatte. Zu Ende September geht der 66-Jährige nun in den verdienten Ruhestand. Sein erfreuliches Resümee der vergangenen Jahrzehnte: „Die Überlebenszahlen herzkranker Kinder sind in meiner Berufszeit enorm verbessert worden. Nicht nur am UKM, an allen großen Herzzentren in Deutschland und darüber hinaus kommen immer mehr Menschen nach erfolgreicher Behandlung ihres angeborenen Herzfehlers ins Erwachsenenalter. Inzwischen ist die Gruppe der über 18-Jährigen sogar größer als die Gruppe von 0 bis 18 Jahren“, beschreibt Kehl die beeindruckende Entwicklung. Möglich geworden sei dies nicht nur durch einzelne Meilensteine im eigenen Fach, sondern auch durch „stetige Verbesserungen in allen Behandlungsschritten“. Dazu zählt Kehl neben einer bestens aufgestellten Pflege und Physiotherapie auch die teils enge Verzahnung verschiedener Fachdisziplinen während der Behandlung über das gesamte Kindesalter. Dank dieses Zusammenwirkens mit der Kinderherzchirurgie, der Anästhesie aber auch der Pränatalmedizin, Neonatologie, Herzgenetik, Rhythmologie und anderen mehr können heute fast alle Herzfehler – auch die komplexen – mit mehr als 95 Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit behandelt werden.
„Wir sind froh, mit Professor Hans Gerd Kehl über eine so lange Zeit einen verlässlichen Experten auf dem Gebiet der Kinderkardiologie in unserem Haus gehabt zu haben“, sagt Alex W. Friedrich, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKM. „Ich wünsche ihm persönlich für seine Zukunft alles Gute.“
Behandlungsschwerpunkte am UKM
„Schwerpunkte sind hier neben der Behandlung häufiger Herzfehler, wie Löcher in den Scheidewänden zwischen den Herzkammern oder -vorhöfen, auch komplexe Herzfehler ab der Geburt, die teilweise mit Fehlbildungen anderer Organsysteme einhergehen und daher weitere Experten für Kindermedizin des UKM benötigen“, sagt Kehl. Münsters Referenz reicht dabei – auch wegen der engen Zusammenarbeit mit dem EMAH-Zentrum (für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern) – weit über die Region hinaus.
Insbesondere hätten sich in den vergangenen Jahren Herzkatheter-Interventionen als weniger invasive Alternative zur Operation etabliert, stellt Kehl fest. „Und wir haben gelernt, dass Kombinationen aus operativen und interventionellen Verfahren Ergebnisse ermöglichen, die früher gar nicht denkbar waren.“ Eine Art Vorreiterrolle sieht Kehl für Münster in frühen Extubationen von Patienten, also der frühen Beendigung einer künstlichen Beatmung kurz nach solchen Eingriffen, teilweise noch im Operationssaal. Als eines der ersten Häuser in Deutschland habe das UKM hiermit seit 2015 positive Erfahrungen gemacht. So lassen sich Belastungen für die rechte Herzkammer und viele sonst nötige Medikamente sowie deren Nebenwirkungen vermeiden. „Inzwischen strebt das eigentlich jeder an – wenn die Voraussetzungen stimmen.“
Auch psycho-soziale Probleme im Blick
Neben allen somatisch relevanten Aspekten rückt Kehl aber auch die psycho-soziale Betreuung von Betroffenen in den Vordergrund: „Wenn ein Kind krank zur Welt kommt, erleben Eltern oft direkt schwierigste Situationen, die die gesamte Familie betreffen. Da gibt es einen hohen Bedarf an Unterstützung. Der Selbsthilfe-Verein Herzkranke Kinder e.V. Münster hat uns früh solche über den Klinikaufenthalt hinausgehenden Belastungen aufgezeigt und uns bei der Betreuung der betroffenen Familien unterstützt. Inzwischen ist es glücklicherweise etabliert, speziell ausgebildetes Personal für psycho-soziale Fragen und Probleme zu haben.“
Was die Zukunft betrifft, geht Kehl davon aus, dass die intensive Forschung an neuen Operations- und Interventionsverfahren sowie neuen Materialien Früchte trägt und so beispielsweise mehr körpereigenes Gewebe zur Rekonstruktion auch für Herzklappen genutzt werden kann, damit trotz des Körperwachstums der Kinder wiederkehrende Eingriffe reduziert werden. Auch die dreidimensionale Bildgebung ist für Kehl ein zukunftsweisendes Thema. „An einem 3D-Modell eines individuellen Patienten-Herzens, das eins zu eins mit elastischem Material gedruckt wird, können Kathetereingriffe hervorragend geprobt werden.“ Am Computer-Monitor gelingen auch interaktive Betrachtungen von 3D-Modellen, durch die Eingriffe ebenfalls besser vorbereitet werden können. In diesem Bereich will sich Kehl auch weiterhin engagieren – wenn er seine freie Zeit nicht in der Kirchengemeinde, als Jugendschöffe oder beim Wandern und Radfahren in der Natur verbringt.
Abschiedsvorlesung „Kinderkardiologie im Wandel“
Freitag, 27.09.2024,15.30 Uhr
Hörsaal im Dekanat der Medizinischen Fakultät Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude D3
Anmeldungen per Mail an kinderkardiologie@ukmuenster.de oder telefonisch unter +49 251 83-47752