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Neuartiger, kompakter „Hirnschrittmacher“ hilft Menschen mit Parkinson

Als einem der ersten Parkinson-Betroffenen in Europa ist Wadim Luft am UKM ein neues System zur Tiefen Hirnstimulation implantiert worden.
Im Vergleich zu Vorgängern des etablierten Verfahrens, das auf elektrische Impulse setzt, bietet das neue Gerät betroffenen Patientinnen und Patienten vor allem Vorteile durch eine kompaktere Bauweise und eine deutlich längere Laufzeit des Stimulators zwischen den Ladezyklen. | lwi

Mit einem Zittern in der Hand fing es an. Wenn Wadim Luft sich an die ersten Symptome seiner Parkinsonerkrankung erinnert, spricht er davon, dass „nichts mehr ging“. 2019 bemerkte der selbstständige Handwerker die ersten Probleme in seinem Alltag und Berufsleben: „Wenn ich ein 6er-Loch in die Wand bohren wollte, hatte ich am Ende ein 20er“, umschreibt Luft anschaulich seine Beschwerden, die drei Jahre später in der Diagnose Parkinson mündeten.

Nachdem eine medikamentöse Behandlung statt der Verbesserung seines Tremors vor allem Nebenwirkungen mit sich brachte, und ein weiterer Behandlungsversuch scheiterte, suchte vor allem Lufts Ehefrau nach Alternativen. „Internetrecherche und Mund-zu-Mund-Propaganda“ hätten ihn schließlich aus seinem Wohnort Petershagen bei Minden in die Neurologie nach Münster geführt.

Dort ist seit dem vergangenen November vor allem die Neurologin Verena Zentsch für den 49-Jährigen zuständig. Die Ansprechpartnerin für Tiefe Hirnstimulation kennt die Probleme, mit denen auch Luft vorstellig wurde. „Es ist leider häufiger so, dass das Zittern, im Gegensatz zu Bewegungseinschränkungen, nicht so gut auf die Medikamente anspricht.“ Eine Alternative sah die Neurologin in der Tiefen Hirnstimulation.

Bei dem Verfahren wird Betroffenen eine Elektrode mit gut einem Millimeter Durchmesser fest in jede Hirnhälfte (für beide Körperhälften) implantiert und mit einem Pulsgeber, dem Neurostimulator, verbunden. Dieser wiederum wird ein wenig unterhalb des Schlüsselbeins unter die Haut ins Gewebe gesetzt. Durch seine elektrischen Signale werden die unwillkürlichen Bewegungen bereits im Hirn unterdrückt. Doch die Behandlung ist nicht für alle Parkinsonpatienten geeignet. „Wir müssen zunächst testen, ob die Betroffenen in Frage kommen“, sagt Zentsch. „Das MRT muss passen, das entsprechende Hirnareal muss in einer Operation also gut erreichbar sein, es finden medikamentöse Tests, Gedächtnisuntersuchungen und ein Abklären von psychischen Erkrankungen statt. Zudem muss die Parkinson-Krankheit seit einigen Jahren bestehen und die subjektive Lebensqualität der Betroffenen einschränken.“

Wadim Luft kam für das Verfahren in Frage. Am 19. Februar unterzog er sich der mehrstündigen Operation, in der – mithilfe von klinischen Tests – die bestmögliche Stelle für die jeweilige Elektrode gefunden wird und beide anschließend zusammen mit dem Pulsgeber implantiert werden. Die Behandlung gibt es schon länger, doch die ihr zugrundeliegenden technischen Geräte werden immer besser – in diesem Fall kleiner und leistungsfähiger. „Herr Luft ist einer der ersten Menschen in Europa, die von dem neuen System ,Liberta‘ des Herstellers Abbott profitieren, das bisher nur in den USA genutzt wurde und erst seit Mitte Februar dieses Jahres in Europa zum Einsatz kommt“, sagt Zentsch. Die neue „Hardware“ verfügt im Vergleich zu Vorgängermodellen über deutlich mehr Leistung – muss also statt wöchentlich nur einmal monatlich aufgeladen werden. Das geht Zuhause mithilfe eines Ladegerätes, das an einem Gurt um die Brust gespannt wird, und lässt sich so gut in den Alltag integrieren. Gleichzeitig ist der Schrittmacher deutlich kleiner, wird von Patientinnen und Patienten also als weniger störend empfunden. 

Wie auch das bisherige System des Herstellers bietet es zudem die Möglichkeit der „virtuellen Klinik“. Per Tablet und Smartphone können Ärztinnen und Ärzte die Stimulation, also die Frequenz, Stromstärke oder Impulsbreite einstellen, mit denen die Elektroden arbeiten. „Momentan sehen wir bei Herrn Luft bereits durch den so genannten Setzeffekt nach der Operation trotz aktuell nur sehr geringer Stimulation einen deutlichen positiven Effekt“, sagt Zentsch. In den kommenden Wochen wird weiter feinjustiert. Grundsätzlich lässt sich das System, das lebenslang im Körper verbleiben kann (lediglich der Schrittmacher muss nach etwa 15 Jahren gewechselt werden), so immer weiter an die fortschreitende Erkrankung adaptieren – und zwar ohne, dass der Patient vor Ort sein muss. „Wenn Herr Luft auf Reisen geht, und im WLAN ist, könnte ich ihn prinzipiell von hier einstellen oder prüfen, ob die Stimulation funktioniert“, erläutert die Neurologin.

Das freut den Petershagener, der schon jetzt „voll und ganz zufrieden“ ist, besonders – im April will er nach Katar und im kommenden Jahr im Rahmen einer mehrmonatigen Reise auf dem Landweg quer durch den asiatischen Kontinent. Auch das Autofahren sollte ihm dann keine Probleme mehr bereiten, denn das Zittern hat er dank der Tiefen Hirnstimulation nun im Griff.

Kontakt für Betroffene

Verena Zentsch, per E-Mail an ths@ukmuenster.de

Kontakt für Presseanfragen

UKM Unternehmenskommunikation | Lukas Wiedau

Lukas Wiedau

Online & Presse