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Viszeralmedizin NRW – das nächste Level freischalten: „Wir sind längst keine Generalisten mehr“

Der Direktor der Klinik für Allgemein, Viszeral- und Transplantationschirurgie Prof. Andreas Pascher und der leitende Oberarzt und Privatdozent Dr. Benjamin Strücker leiten in diesem Jahr in interdisziplinärer Kooperation den Kongress „Viszeralmedizin NRW“ am 16./17. Mai in Dortmund. Was mit dem Titel „Begeisterung Viszeralmedizin“ überschrieben ist, wird zunehmend interdisziplinärer und interprofessioneller gelebt. Gerade mit Blick auf die geplante Krankenhausstrukturreform wird die Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Sektoren und das Miteinander der Kliniken untereinander bis hinein in die Strukturen vor Ort revolutioniert werden, sagen beide. | aw

Die Krankenhausreform nimmt Formen an und wird sich bis hin in alle Strukturen auswirken. Was heißt das für die Viszeralmedizin?

Pascher: Die Krankenhausstrukturreform tritt ganz klar mit dem Ziel an, die Behandlung für die Patientinnen und Patienten nachhaltig zu verbessern. Da haben wir in Deutschland im internationalen Vergleich Nachholbedarf. Studien zeigen, dass die Qualität der Versorgung bei gewissen viszeralmedizinischen Erkrankungen relevant abfällt, wenn wir entsprechende Patienten nicht ausschließlich in spezialisierten Zentren behandeln. Da müssen wir besser werden. Das schaffen wir nur in Teams, die interdisziplinär und interprofessionell aufgestellt sind und gemeinsam den Behandlungserfolg im Fokus haben. Gleichzeitig müssen wir uns unter den Kliniken intersektoral komplementär aufstellen und nicht in Konkurrenz agieren. Auch der Austausch zwischen ambulantem und stationärem Kliniksektor muss besser werden, um Patienten besser vorzubereiten und besser zu rehabilitieren.

Was ist eigentlich Viszeralmedizin?

Strücker: Viszeralmedizin meint die kooperative Zusammenarbeit von verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten, um Patienten mit komplexen Erkrankungen eine optimale Behandlung nach höchsten Standards zu ermöglichen und das sagen wir nicht, weil es irgendwie modern klingen soll. In der Viszeralmedizin ist in der Regel nicht mehr nur die Qualität der Operation entscheidend, sondern ein höchstes Qualitätsniveau aller an der Behandlung Beteiligten. Egal wie gut wir operieren: Ab einem gewissen Schweregrad können unweigerlich Komplikationen auftreten. Wir brauchen dann ein gutes Komplikationsmanagement und Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Bereichen, die diese Situationen kennen und beherrschen. Beispielweise durch das Vorhandensein einer interventionellen Radiologie, beispielsweise durch Vorhandensein von spezialisierten Gastroenterologinnen aber auch qualifizierten Pflegeteams. Nur wenn alle Teile dieses Teams funktionieren, können wir die Menschen mit schweren Erkrankungen viszeralmedizinisch gut versorgen. 

Welche viszeralchirurgischen Eingriffe könnten noch besser werden?

Pascher: In der Viszeralchirurgie sprechen wir von den Big Five, nämlich: Speiseröhre, Magen, Leber, Bauchspeicheldrüse und Enddarm. Nennenswert ist auch noch das Beispiel Bauchfellkrebs. Bei diesen komplexen Eingriffen müssen wir die OP-Belastung reduzieren und ein aktives Risikomanagement zur Verhinderung von schwerwiegenden Komplikationen betreiben. Chirurgie kann nicht alles, wir sind längst keine Generalisten mehr. Wir bilden Teams, die sich mit speziellen Fragen beschäftigen. Das ist eine Besonderheit einer Uniklinik, weil kleinere Kliniken schlichtweg nicht so viele Spezialisten vorhalten können.

Wieso setzen Sie in Ihrer Klinik zusätzlich andere Berufsgruppen ein, beispielweise Advanced Practice Nurses (APNs) oder Physician Assistants?

Pascher: Wir sind davon überzeugt, dass die Diversifizierung der Professionen dazu beitragen kann, andere Berufsgruppen von der Fülle ihrer Aufgaben zu entlasten. Bisher lag alles in der Zweiteilung zwischen Ärzteschaft und Pflege, aber es gibt andere Optionen. Nicht alles, was derzeit als ärztliche Tätigkeit beschrieben ist, muss auch ärztlich abgebildet werden. Es gibt in der Medizin viele Bereiche, die besser in anders qualifizierten Händen aufgehoben sind.

Strücker: Auf Seiten der ärztlichen Versorgung gibt es die Physician Assistants, die in der Chirurgie zwar nicht operieren, aber doch am Patienten auf der Station viele ärztliche Tätigkeiten übernehmen können. In der Pflege sind die APNs sehr erfahrene Kräfte, die sich patientennah für optimalere Prozessorganisation einsetzen. Mit diesen Schnittstellen-Tätigkeiten sind auch Karrierechancen verbunden. Wenn wir diese Chancen nicht eröffnen, verlieren wir Menschen, die sehr qualifiziert sind und sich gewinnbringend für ihre Patientinnen und Patienten einsetzen.

Welche Schwerpunkte wollen Sie auf dem Kongress besprechen?

Pascher: Wir werden den Kolleginnen und Kollegen von unserer interprofessionellen Ausbildungsstation berichten, die den Nachwuchs aus Pflege und Ärzteschaft gemeinsam ausbildet, um einen Zukunftsentwurf für Zusammenarbeit zu schaffen. Auch müssen wir alle mehr Digitalisierung wagen. Ein Beispiel: Wir könnten jetzt schon die eigentlich vorhandene digitale Infrastruktur aus dem Virtuellen Krankenhaus NRW nutzen, um Ausbildungsstandards auch in andere Häuser zu tragen. Dazu braucht es aber Investitionen. Und es braucht die Bereitschaft der Krankenhäuser untereinander, sich auf diese Konzepte einzulassen. Die Krankenhausreform bietet die Struktur, umsetzen muss man es vor Ort, das heißt, es ist jetzt der Zeitpunkt, kooperativ aufeinander zuzugehen.

Sie sprachen das Thema Ausbildung gerade schon an. Haben Sie ein Beispiel, wie moderne Ausbildungskonzepte aussehen können?

Strücker: Ausbildung des chirurgischen Nachwuchses heißt für uns am UKM, dass wir auch bei den operativen Tätigkeiten vor allem mit dem Operations-Roboter mit der Ausbildung so früh wie möglich beginnen. Wir haben das in Form eines eigenen Curriculums an der Klinik weiterentwickelt. Operieren mit dem Roboter ist bei uns keine Tätigkeit, die den Älteren und Erfahreneren vorbehalten ist, sondern die früh im Rahmen der Ausbildung startet. Das wird zunächst in Virtual Reality-Simulationen geübt, in der nächsten Stufe geht es an die Operationskonsole. Erste Operationen werden immer im Beisein eines erfahrenen Kollegen durchgeführt. Danach haben wir bestimmte Schritte definiert, die der Absolvent oder die Absolventin erfüllen muss. Niemand kann von jetzt auf gleich alles – man muss immer erst das nächste Level freischalten, um es ein bisschen in der Gaming-Sprache zu sagen.

Kontakt für Presseanfragen

Anja Wengenroth | UKM-Unternehmenskommunikation

Anja Wengenroth

Pressesprecherin