100 Jahre Klinikseelsorge am Universitätsklinikum Münster
Festliche Musik erklingt. Eine Familie sitzt eng zusammengerückt, Kerzen flackern, für einen Moment ist das Krankenhaus weit weg. „Wir haben damals alles möglich gemacht, damit diese Familie noch einmal gemeinsam Weihnachten feiern konnte“, erinnert sich Pfarrer Dr. Leo Wittenbecher an die todkranke Mutter, der drohte, das nahende Weihnachtsfest nicht mehr zu erleben. Es ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie wertvoll die Klinikseelsorge im Universitätsklinikum Münster (UKM) ist – und das seit 100 Jahren. Mit einem Festakt in der Überwasserkirche wird das Jubiläum am Samstag, 27. September, um 19 Uhr gefeiert. | pbm/acl
„Vor 100 Jahren hatte die Seelsorge im Krankenhaus vor allem die eigenen Mitglieder im Blick, insbesondere religiöse Riten: am Lebensanfang die Taufe, am Lebensende die ‚letzte Ölung‘“, erklärt Wittenbecher. Heute sei das Spektrum der Krankenhausseelsorge deutlich weiter, ihre Angebote umfassender. Dabei mache die Zusatzbezeichnung „Spiritual Care“, womit der Titel „Seelsorge am UKM“ vor rund einem Jahr offiziell ergänzt wurde, deutlich, dass Seelsorge im UKM als Teil des erweiterten Behandlungsteams arbeitet und für alle Patientinnen und Patienten sowie für deren Angehörige da sein will, unabhängig von deren Hintergrund. „Neben der klassischen, ausdrücklich religiösen Seelsorge bieten wir auch anderen Menschen Begleitung an, in enger Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen der Klinik: zum Beispiel in ihren Fragen nach Sinn, Hoffnung und Würde“, erklärt der leitende Klinikenpfarrer. Dabei gehe es nicht um fertige Antworten, sondern immer wieder auch darum, „einer Würde der Untröstlichkeit Raum zu geben“.
„Patientinnen, Patienten und Angehörige suchen bewusst das Gespräch mit der Seelsorge, weil sie spüren, dass dort jemand zuhört, ohne vorschnell Ratschläge zu geben“, sagt Nadine Gerversmann, stellvertretende Stationsleiterin der Palliativstation. Manche Gespräche helfen, eine schwere Diagnose zu verarbeiten, andere ermöglichen Entscheidungen, die sonst kaum getroffen würden. So erinnert sich das Team an einen jungen Patienten, der lange haderte, ob er in ein Hospiz wechseln sollte. „Die Begleitung durch unseren Seelsorger hat ihm geholfen, diese Entscheidung zu treffen – und sie anzunehmen“, erzählt Nadine Gerversmann.
Auch die medizinische Seite weiß den Beitrag zu schätzen. „In der Palliativmedizin denken wir in vier Dimensionen: körperlich, psychisch, sozial – und spirituell. Ohne Seelsorge würde ein Teil fehlen“, betont Professor Dr. Philipp Lenz, Ärztlicher Leiter der Palliativstation. Gerade in schwierigen Gesprächen, wenn es um Therapieentscheidungen am Lebensende geht, sei der professionelle Blick der Seelsorge unverzichtbar: „Manchmal geht es nicht um medizinische Daten, sondern um Schuldgefühle, Glaubensfragen oder die Suche nach innerem Frieden“, weiß er. All das mache deutlich, dass es für die Krankenhausseelsorge im Kontext von Spiritual Care neben der theologischen Ausbildung auch psychologische Zusatzqualifikationen braucht.
Ergänzt wird die Tätigkeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger im UKM auch durch ehrenamtliche Studierende, die in einzelnen Bereichen mitarbeiten – etwa in der onkologischen Tagesklinik oder auf den Kinderstationen.
Dass Seelsorge im UKM „mittendrin“ ist, zeigt sich auch in der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Kulturreferentin Margarita Temming beschreibt: „Kultur kann Türen öffnen. Akkordeon- oder Gitarrenklänge, ein Lied, ein musikalischer Rundgang mit Seelsorge und Clinikclowns – all das schafft unbeschwerte Momente und bringt Leichtigkeit in den Krankenhausalltag. In der Zusammenarbeit mit der Seelsorge entstehen daraus oft ganz besondere Begegnungen auf den Patientenzimmern.“
Nicht nur für Patientinnen und Patienten und auch die Angehörigen, auch für Mitarbeitende sei die Seelsorge ein wichtiger Anker. Nach besonders belastenden Situationen begleitet sie Teams in Nachbesprechungen. „Wir brauchen im Krankenhaus nicht nur Medizin, sondern auch Räume, um das Schwere auszuhalten“, sagt Wittenbecher. So steht das Jubiläum unter dem Motto: „Mittendrin – dem Leben auf der Spur“. Denn Seelsorge am UKM ist mehr als ein Randangebot, weiß der Pfarrer: „Sie ist Teil des Lebens mitten im Krankenhaus.“
Die Verantwortlichen laden alle Interessierten zum Jubiläum ein, das am Samstag, 27. September, um 19 Uhr in der Überwasserkirche in Münster gefeiert wird. Gemeinsam soll darauf geschaut werden, was Spiritual Care/Seelsorge heute bedeutet. Es wirken mit: Christoph Gilsbach (Performancekünstler), Dr. Philipp Mathmann (Arzt am UKM, Opernsänger), Prof. Dr. Philipp Lenz (Ärztliche Leitung Palliativmedizin), das Ensemble Ex Praeterito sowie Seelsorgerinnen und Seelsorger des UKM.
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