„Kurzschluss“ der Leben rettet: TIPS-Verfahren kann vielen Lebererkrankten helfen
Das Anlegen eines TIPS, also einer künstlichen Shunt-Verbindung zwischen Lebervene und Pfortader, ist in der Medizin ein bekannter Eingriff, um einen zu hohen Druck der Pfortader im Bauchraum – etwa in Folge einer unbehandelten Leberzirrhose – zu regulieren. Inzwischen wurde das Verfahren durch Innovationen weiter verfeinert. Am UKM ermöglicht die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Radiologie und Gastroenterologie, dass immer mehr Menschen frühzeitig geholfen werden kann, bevor sich der Zustand ihrer Leber dramatisch verschlechtert. | aw
Dass Christoph Holthaus wieder arbeiten kann, ist nicht selbstverständlich: Der 58-Jährige aus Münster hat eine Reihe schwerer Erkrankungen hinter sich, die fast dazu geführt hätte, dass er seinen Job als Polizist nicht mehr hätte ausüben können. Eine Darmkrebserkrankung in 2020 konnte er dank einer Operation mit begleitender Chemotherapie zunächst besiegen, als im August 2022 plötzlich Magen-Darm-Beschwerden auftraten. Eine Magenspiegelung erbrachte die Diagnose blutender Varizen (Krampfadern) in der Speiseröhre. „Natürlich dachten da alle, dass ich Alkoholiker bin“, erinnert sich Holthaus. Allerdings ergab die Diagnostik keinen weiteren Hinweis auf einen Alkoholmissbrauch. Die Varizen wurden stationär behandelt, doch es traten neue auf. Eine Überweisung ans UKM (Universitätsklinikum Münster) brachte die entscheidende Wende. „Wir konnten bei Herrn Holthaus eine portale Hypertension, einen zu hohen Druck in der Pfortader feststellen. Allerdings lag dem nicht etwa eine Leberzirrhose zugrunde: Stattdessen war die Leber durch die zurückliegende Chemotherapie nachhaltig geschädigt, was eine sehr seltene Komplikation der Behandlung sein kann“, erläutert Priv.-Doz. Michael Praktiknjo, geschäftsführender Oberarzt und Leiter des TIPS-Programms der Medizinischen Klinik B.
Doch egal, welche Ursache der Pfortaderhochdruck hat: Betroffenen wie Christoph Holthaus kann frühzeitig geholfen werden. Dank vielfältiger bildgebender Verfahren können Veränderungen der Leber und der zuführenden Gefäße radiologisch frühzeitig diagnostiziert werden. Durch innovative bildgesteuerte Behandlungsverfahren in der Interventionellen Radiologie kann die portale Hypertension durch das Setzen einer Kurzschlussverbindung durch einen Stent behandelt werden. „Es gibt eine neue Generation von individuell anpassbaren Stents, die am UKM im Rahmen des TIPS-Verfahrens minimal-invasiv in die Leber eingesetzt werden“, sagt Priv.-Doz. Michael Köhler, Leitender Oberarzt und Bereichsleiter der Interventionellen Radiologie des UKM. So wird einerseits der portale Hochdruck behoben und andererseits die Nährstoffversorgung der vorgeschädigten Leber optimiert. „In den in diesem Jahr mit neuester Technik ausgestatten Behandlungsräumen führen wir die TIPS Behandlung interdisziplinär im Team durch. Hier haben wir die optimale Ausstattung für den Eingriff, der in Einzelfällen bis zu zwei Stunden dauern kann“, so Köhler.
Bei der Implantation eines TIPS werden unter fortlaufender bildgebender Kontrolle ein Führungsdraht und ein Katheter über die Halsvene in die Lebervene eingebracht. Mit einer Hohlnadel wird die Leber punktiert und damit eine Kurzschlussverbindung zur Pfortader etabliert. Damit die neu geschaffene Verbindung auch dauerhaft offenbleibt, wird nach Aufweitung des Punktionskanals über einen Ballonkatheter letztlich der flexible, beschichtete Stent eingesetzt. „Mit der Lebervene und der Pfortader verbinden wir zwei autarke Systeme im Körper und schaffen Entlastung für den hohen Druck in der Pfortader. Kommen die Betroffenen frühzeitig genug, können wir schwerwiegende Verläufe von Lebererkrankungen rechtzeitig verhindern. Auch wenn wir die eigentliche Grunderkrankung nicht beheben können, erreichen wir so für Betroffene eine Verlängerung der Überlebenszeit und vor allem mehr Lebensqualität‘“, freuen sich der Gastroenterologe Praktiknjo und der Radiologe Köhler.
Doch auch auf die möglichen Nebenwirkungen weisen die beiden hin: So birgt der geschaffene Kurzschluss die Gefahr einer systemischen Ammoniakvergiftung. Die sogenannte Enzephalopathie betraf auch Christoph Holthaus, der sich mit Schrecken an eine plötzlich einsetzende Benommenheit und Verwirrtheit etwa eine Woche nach dem Eingriff zurückerinnert. Weil ihn seine Ärzte nach der Intervention entsprechend vor der Komplikation gewarnt hatten, ließ er sich notfallmäßig wieder ans UKM bringen. „Nach entsprechender Behandlung ist die Komplikation vollständig reversibel und mit einigen einfachen Maßnahmen kann vorgebeugt werden“, so die Ärzte.
Die Medizinische Klinik B bietet eine Spezialsprechstunde für Patientinnen und Patienten mit portaler Hypertension an und ermuntert auch niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, in Frage kommende Patientinnen und Patienten frühzeitig vorzustellen. Denn nur 10 Prozent aller Patienten, die von einem TIPS profitieren würden, erhalten diesen auch. Christoph Holthaus ist einer von ihnen. Er kann seit dem letzten Herbst tatsächlich wieder ohne Einschränkung arbeiten.
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Anja Wengenroth
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