„Die Grippe wird häufig unterschätzt“
Eine Grippe kann nicht nur älteren Menschen oder Frühgeborenen gefährlich werden. Auch gesunde Kinder können schwer erkranken und plötzlich auf intensiv-medizinische Versorgung angewiesen sein. Dr. Katja Masjosthusmann, Oberärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Allgemeine Pädiatrie am UKM, und Dr. Daniela Kiski, Oberärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Kardiologie, sehen diese Fälle Jahr für Jahr auf ihren Stationen. Anlässlich des Welttages für Patientensicherheit (17. September), der dieses Jahr Kinder im Fokus hat, möchten die Ärztinnen im Interview für das Thema sensibilisieren. | lwi
Frau Dr. Masjosthusmann, eine Grippe – so wird oft angenommen – ist doch nur für wenige vulnerable Menschen gefährlich. Teilen Sie diese Ansicht?
Dr. Katja Masjosthusmann: Es gibt gute Daten dazu, und auch aufgrund unserer Erfahrungen hier auf der pädiatrischen Intensivstation sehe ich das anders. Die Wahrscheinlichkeit, schwer an einer Influenza zu erkranken ist bei gesunden Kindern genauso groß wie bei Frühgeborenen, bei älteren oder transplantierten Menschen oder solchen, die an einer chronischen Lungen- oder Herzerkrankung leiden. Laut RKI ist „die Inzidenz Influenza-assoziierter Krankenhauseinweisungen bei Kleinkindern und in der älteren Bevölkerung am höchsten, Todesfälle beschränken sich hauptsächlich auf die hohen Altersgruppen“. Von den Kindern die ins Krankenhaus eingewiesen werden kommen ca. 10 bis 20 Prozent auf eine Kinderintensivstation.
Welche Symptome gibt es, und bei welchen sollten Eltern besonders aufmerksam werden?
Masjosthusmann: Die Symptome sind die einer schweren Erkältungserkrankung. Die Kinder sind schlapp und teilnahmslos, haben mitunter hohes Fieber und Erbrechen, Durchfall oder Gelenkbeschwerden. Ein Alarmzeichen ist es, wenn sie nicht mehr gut ansprechbar sind.
Welche konkreten Probleme oder Verläufe gibt es bei einer Grippe?
Dr. Daniela Kiski: Das Spektrum reicht von milden Verläufen, die mit ausreichender Schonung überstanden werden, bis hin zu Patientinnen und Patienten auf unserer pädiatrischen Intensivstation, die medikamentöse oder maschinelle Unterstützung des Herzens und/oder der Lunge benötigen. Es kann in der Folge einer Influenzainfektion eine Herzmuskelentzündung entstehen, die in ihrer Schwere wiederum ein sehr breites Spektrum aufweisen kann. Problematisch ist es immer, wenn sich eine weitere Infektion auf eine durch Influenza geschädigte Lunge setzt.
Masjosthusmann: Genau, in den vergangenen Wintern haben wir oft gesehen, dass die oberflächlichen Zellen der Schleimhäute in der Lunge von der Infektion angegriffen werden und in eine zweite Infektion resultieren. Wir haben viele Kinder gesehen, die zwei Wochen nach einer Grippe-Infektion mit teilweise schweren Verläufen zu uns kommen.
In Ihrem klinischen Alltag tritt die Grippe bei Kindern also nicht immer als akutes Problem auf?
Masjosthusmann: Richtig, bei einer Hälfte verläuft es sehr schnell und schwer – diese Kinder kommen mit erkannten und schweren Grippesymptomen zu uns. Bei der anderen Hälfte ist die Ursache der akuten Erkrankung zunächst unklar, bis sich herausstellt, dass im Vorfeld eine Influenza vorgelegen hat.
Kiski: Wenn Kinder mit Atemproblemen kommen, gibt es die Möglichkeit von Schnell- und Bestätigungstests, um eine Influenza zügig abzuklären. Bei überschneidenden Krankheitsbildern kann es aber dauern, bis die Influenza sicher als Ursache erkannt wird – vor allem, wenn sie bereits zurückliegt und die Kinder eigentlich wegen beispielsweise einer eingeschränkten Pumpfunktion des Herzens aufgrund einer Herzmuskelentzündung ganz plötzlich zu uns kommen.
Wie werden die Kinder intensivmedizinisch versorgt, was ist das Besondere am UKM (Universitätsklinikum Münster)?
Masjosthusmann: Als großer Maximalversorger können wir hier glücklicherweise das ganze Spektrum anbieten. Wir haben also die Möglichkeit, die Kinder umfassend mit vielen verschiedenen Behandlungsoptionen zu unterstützen – in der Hoffnung, dass sie schnellstmöglich wieder gesund werden. Bei einer Herzmuskelentzündung ist das in über 90 Prozent der Fälle so, aber es braucht Zeit, teilweise viel Zeit. Dank unseres interdisziplinären Teams sind dann auch keine weiteren Transporte nötig.
Kiski: Genau, manche Verläufe erfordern eine enge Zusammenarbeit weiterer Fachdisziplinen – etwa mit Kinderkardiologen oder den Kolleginnen und Kollegen der Nephrologie für beispielsweise eine Dialyse. Auch das können wir hier alles abdecken. Solche schweren Fälle werden in der breiten Bevölkerung häufig noch unterschätzt, wir sehen sie aber jeden Winter.
Wie können Kinder vor einer Grippe und einem schweren Verlauf geschützt werden?
Masjosthusmann: Wir empfehlen, Kinder ab dem sechsten Lebensmonat – und unabhängig von Vorerkrankungen – impfen zu lassen oder mit der Kinderärztin bzw. dem Kinderarzt darüber zu sprechen. Die Impfung schützt zwar nicht zwingend vor einer Infektion, aber vor einem schweren Verlauf! Ansonsten gelten die üblichen Hygienemaßnahmen: Händewaschen bzw. desinfizieren, lüften etc. Und wenn Kinder krank sind, sollten sie natürlich nicht in die Kita oder zur Schule gehen und nach einer Infektion auch den Sport kurzzeitig pausieren.
Rund um den Tag der Patientensicherheit, der in diesem Jahr Kinder in den Fokus rückt, veröffentlicht das UKM auch auf seinen Social-Media-Kanälen viele Beiträge zu dem Thema. Auch der kommende UKM-OnlineTalk (live auf Youtube) befasst sich mit dem Thema, wenn es am 16. September um 18 Uhr heißt „Von Fiebersaft bis Rettungswagen - was Eltern wissen sollten“. Im UKM finden zudem einzelne Aktionen statt, die auf den Tag aufmerksam machen