Maßgeschneiderte Krebstherapien: neue Chancen durch „Personalisierte Medizin“
Die Behandlungsoptionen für Krebserkrankte haben sich in den letzten zehn Jahren exponentiell vermehrt – möglich wurde dies durch ein immer umfangreicher werdendes Verständnis der Biologie der vielen verschiedenen Krebsarten. Im Zentrum für Personalisierte Medizin (ZPM) des WTZ (Westdeutsches Tumorzentrum) Münster treiben die Expertinnen und Experten des UKM (Universitätsklinikum Münster) die Forschung weiter voran und stehen dabei in stetigem nationalen und internationalen Austausch. Das von der DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) zertifizierte Zentrum nimmt nun auch am Modellvorhaben „Genomsequenzierung – Onkologische Erkrankungen“ teil, einem bundesweiten Projekt, das die moderne Krebsmedizin auf die nächste Stufe heben soll. Doch was bedeutet Personalisierte Medizin konkret? Wie profitieren die Patientinnen und Patienten davon? Darüber sprechen im Interview Prof. Annalen Bleckmann, Direktorin des WTZ Münster, Prof. Georg Lenz, Direktor der Medizinischen Klinik A, sowie Prof. Eva Wardelmann und Prof. Wolfgang Hartmann, Direktorium des Gerhard-Domagk-Instituts (GDI) für Pathologie am UKM. | lie

Was versteht man unter Personalisierter Medizin?
Prof. Lenz: Personalisierte Medizin bedeutet, dass die Krebstherapie an die individuellen genetischen Veränderungen der Tumorzellen der jeweiligen Patientin bzw. des jeweiligen Patienten angepasst wird. In der Onkologie ermöglicht dies eine möglichst maßgeschneiderte Therapie, die auf den genetischen und molekularen Eigenschaften des Tumors sowie anderen biologischen Charakteristika der jeweiligen Tumorerkrankung basiert. Ein Beispiel für solch eine innovative Therapie sind die sogenannten „zielgerichteten Therapien“. Hierbei richten sich die Medikamente direkt gegen bestimmte Mutationen oder Veränderungen in den Krebszellen. Diese Therapieansätze haben das Potenzial, Tumoren gezielt anzugreifen, während gesunde Zellen weitgehend verschont bleiben, was Nebenwirkungen deutlich reduziert. Ebenso kommen in der Personalisierten Medizin zunehmend Kombinationstherapien zum Einsatz, bei denen mehrere Behandlungsansätze gleichzeitig angewendet werden, um die Wirksamkeit zu maximieren und Resistenzen zu verhindern.
Das Zentrum für Personalisierte Medizin des WTZ Münster wurde in 2024 erstmals von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Was bedeutet das für das Zentrum?
Prof. Bleckmann: Die Auszeichnung der Deutschen Krebsgesellschaft bestätigt nicht nur die hohe Qualität unserer Arbeit im Bereich der Personalisierten Medizin, sondern ermöglicht uns auch, das Versorgungsangebot innerhalb unseres Onkologischen Spitzenzentrums weiter auszubauen. Die Zertifizierung eröffnet den Zugang zu spezialisierten Netzwerken und Forschungsprojekten, wodurch wir unseren Patientinnen und Patienten Zugang zu modernster Krebsforschung, innovativen Diagnosetechniken und fortschrittlichsten Therapieansätzen anbieten können.
Wie profitieren die Patientinnen und Patienten konkret von diesem Ansatz?
Prof. Lenz: Patientinnen und Patienten, die ins ZPM kommen, haben meist bereits die standardmäßige Therapie erhalten. Wenn diese jedoch nicht greift oder nicht mehr ausreicht, suchen wir nach zusätzlichen Therapieoptionen, die über den gewohnten Rahmen hinausgehen. Die Personalisierte Medizin ermöglicht es, neue, individuellere Behandlungsmöglichkeiten zu finden, die zu einer höheren Lebenserwartung führen können. Diese neuen Ansätze zielen darauf ab, die Therapie wirksamer und zugleich weniger belastend zu gestalten.
Welche Rolle spielt die Pathologie in diesem Prozess?
Prof. Wardelmann: In der Personalisierten Medizin arbeiten viele verschiedene Fachrichtungen eng zusammen, um die besten Behandlungsoptionen für jede Patientin und jeden Patienten zu finden. Die Pathologie spielt dabei eine Schlüsselrolle, da sie die Grundlage für präzise Diagnosen liefert. Wir untersuchen das Tumorgewebe auch auf molekularer Ebene, um die spezifischen Merkmale des Tumors und seine Biologie noch besser zu verstehen und darauf basierend maßgeschneiderte Therapieansätze zu entwickeln. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist entscheidend, um das bestmögliche Behandlungsergebnis zu erzielen und auch, um den weiteren Krankheitsverlauf mit Folgeuntersuchungen sinnvoll zu begleiten und so gegebenenfalls einen Rückfall möglichst früh zu erkennen.
Das ZPM nimmt auch am „Modellvorhaben Genomsequenzierung – Onkologische Erkrankungen“ teil. Was hat es damit auf sich?
Prof. Hartmann: Dieses Projekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie der Verband der Universitätskliniken mit der Politik und den Kostenträgern konzipiert. Es zielt darauf ab, mit diagnostischer Intention bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen immer umfangreichere Anteile der DNA, bis hin zum kompletten Genom, im Tumorgewebe zu analysieren. Die Idee dahinter ist, die Veränderungen des Erbguts im Tumorgewebe als Werkzeug in der Krebsbehandlung immer besser verstehen zu lernen und ihren Nutzen für die Präzisionsmedizin zu evaluieren. Das Modellvorhaben ist ein wichtiger Schritt, um neue Technologien und ihre Möglichkeiten in größerem Umfang und gleichzeitig sehr präzise für die klinische Praxis einsetzen zu können. Das Projekt soll helfen, die Anwendung der Genomsequenzierung in der Onkologie weiter zu verbreiten und die Personalisierte Krebsmedizin weiterzuentwickeln.
Welche Herausforderungen bringt die Personalisierte Medizin mit sich? Und wie stellt sich das Zentrum dafür auf?
Prof. Bleckmann: Eine der größten Herausforderungen ist die Komplexität der Befunde, die bei einer personalisierten Therapie berücksichtigt werden müssen. Diese erfordert eine hohe Expertise und ist zumeist nur auf universitärem Niveau zu bewältigen. Auch die hohen Kosten für Diagnostik und Therapien sind eine Hürde, vor allem, wenn neue, noch nicht offiziell zugelassene Therapien zum Einsatz kommen. Ein weiteres Problem ist, dass derzeit noch nicht für jeden Betroffenen ein passender zielgerichteter Therapieansatz gefunden werden kann. Die molekulare Analyse wird noch nicht bei allen Patientinnen und Patienten routinemäßig durchgeführt, da der Erkenntnisgewinn nicht immer unmittelbar zur Therapie führt. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass sich diese Hürden mit der Weiterentwicklung der Forschung und Technologie zunehmend überwinden lassen.
Wie sieht die Zukunft der Personalisierten Medizin aus?
Prof. Lenz: Die Entwicklungen der Personalisierten Medizin in der Onkologie sind sehr vielversprechend. Die Genomsequenzierung wird immer schneller und kostengünstiger, sodass sie in Zukunft häufiger und für eine breitere Patientengruppe genutzt werden kann. So könnten Tumoren künftig früher, schneller und präziser analysiert werden, was eine frühere Diagnose und individuellere Behandlungsoptionen ermöglicht. Gleichzeitig erwarten wir, dass neue Medikamente entwickelt werden, die noch gezielter auf die molekularen Mechanismen von Krebszellen einwirken und damit die Therapie noch effektiver machen. Die Fortschritte in der Forschung lassen hoffen, dass wir immer mehr Betroffenen helfen können.